01.04.2025 | Jochen Bettzieche | SLF News
Forschende des SLF haben mit Hilfe von Sensoren erstmals direkt unter Gleitschneelawinen Daten erhoben. Auf deren Basis können sie den Zeitraum des Abgangs einer Gleitschneelawine sowie deren Ausdehnung besser bestimmen. Ziel sind geeignete Regeln, um in Zukunft genauer vor Abgängen zu warnen.
«Wir haben neue Einblicke erhalten, welche Prozesse beim Abgang einer Gleitschneelawine entscheidend sind», sagt Amelie Fees, Wissenschafterin am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos. Sie hat untersucht, welche Verhältnisse am Boden und im Schnee herrschen müssen, damit sich eine Gleitschneelawine (siehe Kasten) löst. Dafür hat sie den Wassergehalt und die Temperatur des Bodens gemessen – drei Winter lang. Es ist das erste Mal, dass Forschende Daten direkt unterhalb der auf einem Wasserfilm ins Tal rutschenden Schneemassen erhoben haben. Langfristiges Ziel ist, geeignete Regeln für eine zeitgenauere Warnung vor Gleitschneelawinen zu entwickeln. Das ist bislang kaum möglich, denn im Gegensatz zu anderen Lawinenarten sind die Prozesse bei Gleitschneelawinen noch nicht weit erforscht. Daher ist es bislang schwierig, vorherzusagen, wann sie anreissen. Fees Arbeit trägt dazu bei, das zu ändern.
Was sind … Gleitschneelawinen?
Bei einer Gleitschneelawine rutscht die gesamte Schneedecke auf geeignetem Boden wie Gras oder Felsplatten ab und das immer spontan. Dazu muss der Schnee am Boden feucht werden. Im Winter geschieht das von unten, wenn im Boden noch Restwärme aus dem Sommer gespeichert ist. Im Frühling hingegen von oben, indem Schmelzwasser und Regen durch die Schneedecke bis zum Grund sickern. Oft – aber nicht immer – bilden sich vor dem Abgang Risse im Schnee, die «Fischmäuler». Diese gelten als Frühwarnsignal.
Wichtigstes Ergebnis: Es hilft, Boden und Schnee in Lawinenhängen kontinuierlich mit Sensoren zu überwachen, statt nur auf Wetterdaten zu setzen. «Damit können wir genauere Vorhersagen erstellen», erklärt Fees und ergänzt: «Die Daten müssen sowohl über die Zeit als auch den Ort aufgelöst sein.»
Für ihre Forschung hat sie am Seewer Berg in Davos 44 Sensoren in einen Hang gesteckt, an dem dieser Lawinentyp im Winter regelmässig abgeht. Damit hat sie im fünfzehn-Minuten-Takt gemessen, welche Temperatur der Boden hat und wie viel Wasser er enthält. Ihre Ergebnisse liefern Anhaltspunkte, wie diese beiden Parameter verteilt sind und welchen Mindestwert sie erreichen, wenn eine Lawine abgeht. Das heisst, sie liefern Erkenntnisse, wann und wo der Boden wie feucht ist.
Was ist ... der Wassergehalt (Liquid Water Content, LWC)?
Schnee besteht aus festem Wasser. In einer Schneedecke kann jedoch gleichzeitig sowohl gefrorenes/festes als auch flüssiges Wasser vorkommen. Der Flüssigwassergehalt (Englisch: Liquid Water Content, kurz LWC) gibt den prozentualen Anteil des flüssigen Wassers in einer Schneedecke an. Bei null Prozent ist der Schnee trocken, eine feuchte Schneedecke kommt auf Werte von bis zu vier Prozent, Nassschnee hat einen Wert um die 20 Prozent. Bei hundert Prozent ist der Schnee vollständig geschmolzen und keine Schneedecke mehr vorhanden.
Das hilft bei der Prognose. Denn Gleitschneelawinen lösen sich an der Grenzfläche zwischen Boden und Schnee, wenn dort Wasser vorhanden ist. Auf diesem Wasserfilm rutscht dann die gesamte Schneedecke talwärts.
Wie dieser Film entsteht, dafür nennt die Forscherin drei Effekte:
- Warmer Boden: Er taut die unterste Schicht der Schneedecke an.
- Aufsteigendes Wasser: Im Boden vorhandenes, nicht gefrorenes Wasser, dringt in die untere Schicht der Schneedecke vor.
- Wasser von oben: Schmelz- und Regenwasser dringt durch die Schneedecke bis zum Boden vor.
Bisherige Erkenntnisse beruhten vor allem auf Beobachtungen. Schon länger bekannt ist, dass Gleitschneelawinen vor allem im Frühwinter und im Frühling auftreten. Das liegt an den Effekten, die Fees nachgewiesen hat: «Im Frühwinter ist die Temperatur des Bodens höher als die der Umgebung, im Frühling steigt der Wassergehalt des Bodens.»
Für den Lawinenwarndienst und Sicherheitsverantwortliche vor Ort sind Gleitschneelawinen eine grosse Herausforderung. Denn diese Lawinen haben in schneereichen Wintern oft ein grosses Volumen. Das macht sie gefährlich. Darüber hinaus können sie jederzeit abgehen, sowohl am Tag als auch in der Nacht. Wann genau, kann bislang niemand prognostizieren, künstlich auslösen, beispielsweise durch Sprengen, ist praktisch nicht möglich. Selbst, wenn sie sich durch Risse in der Schneedecke ankündigen, kann es noch ein, zwei Tage dauern, bis sie anbrechen. Das macht Gleitschneelawinen unberechenbar.
Noch ist einiges an Forschung zu leisten, um ein zuverlässiges System zu entwickeln. «Im nächsten Schritt sollten wir untersuchen, wie viel Wasser es braucht und wie gross dessen Fläche sein muss, damit sich eine Lawine löst.»
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