Gefahrenstufen

Das SLF beschreibt die Lawinengefahr mit der fünfteiligen europäischen Lawinengefahrenskala. In Wirklichkeit ändert die Lawinengefahr aber kontinuierlich. Damit gibt es innerhalb jeder Stufe eine gewisse Bandbreite. Mit den Zwischenstufen kann dem natürlichen Gefahrenverlauf besser gefolgt werden. Der Lawinenwarndienst kommuniziert mit ihr, wo innerhalb der Bandbreite er die aktuelle Gefahr einschätzt.

Die Gefahrenstufe hängt von verschiedenen Grössen ab, insbesondere der Schneedeckenstabilität (oder der Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung), der Häufigkeit der Gefahrenstellen und der Lawinengrösse. Die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung steigt mit zunehmender Gefahrenstufe stark an.

Eine Gefahrenstufe gilt immer für eine Region und kann die Besonderheiten eines bestimmten Einzelhanges nicht abbilden. Zudem ist die im Lawinenbulletin beschriebene Gefahrenstufe immer eine Prognose. Sie sollte vor Ort überprüft werden.

Lawinengefahrenskala

Kurzfassung

Gefahrenstufe Merkmale Empfehlungen für Personen ausserhalb gesicherter Gebiete

5

sehr gross

Ausserordentliche Lawinensituation

Viele sehr grosse und extrem grosse spontane Lawinen sind zu erwarten. Diese können Strassen und Siedlungen in Tallagen erreichen.

Verzicht auf Schneesport abseits geöffneter Abfahrten und Routen empfohlen.

Wird sehr selten prognostiziert.

Etwa 1 % aller Todesopfer.

4

gross

Sehr kritische Lawinensituation

Spontane und oft auch sehr grosse Lawinen sind wahrscheinlich. An vielen Steilhängen können Lawinen leicht ausgelöst werden. Fernauslösungen sind typisch. Wummgeräusche und Risse sind häufig.

Sich auf mässig steiles Gelände beschränken. Auslaufbereiche sehr grosser Lawinen beachten. Unerfahrene bleiben auf den geöffneten Abfahrten und Routen.

Für wenige Tage des Winters prognostiziert.

Rund 10 % aller Todesopfer.

3

erheblich

Kritische Lawinensituation

Wummgeräusche und Risse sind typisch. Lawinen können vor allem an Steilhängen der im Lawinenbulletin angegebenen Expositionen und Höhenlagen leicht ausgelöst werden. Spontane Lawinen und Fernauslösungen sind möglich.

Für Wintersportler kritischste Situation! Optimale Routenwahl und Anwendung von risikomindernden Massnahmen sind nötig. Sehr steile Hänge der im Lawinenbulletin angegebenen Expositionen und Höhenlagen meiden. Unerfahrenen wird empfohlen, auf den geöffneten Abfahrten und Routen zu bleiben.

Für etwa 30 % des Winters prognostiziert.

Rund die Hälfte aller Todesopfer.

2

mässig

Mehrheitlich günstige Lawinensituation

Alarmzeichen können vereinzelt auftreten. Lawinen können vor allem an sehr steilen Hängen der im Lawinenbulletin angegebenen Expositionen und Höhenlagen ausgelöst werden. Grössere spontane Lawinen sind nicht zu erwarten.

Vorsichtige Routenwahl, vor allem an Hängen der im Lawinenbulletin angegebenen Expositionen und Höhenlagen. Sehr steile Hänge einzeln befahren. Besondere Vorsicht bei ungünstigem Schneedeckenaufbau (Altschneeproblem).

Für etwa 50 % des Winters prognostiziert.

Rund 30 % aller Todesopfer.

1

gering

Allgemein günstige Lawinensituation

Es sind keine Alarmzeichen feststellbar. Lawinen können nur vereinzelt, vor allem an extrem steilen Hängen ausgelöst werden.

Extrem steile Hänge einzeln befahren und Absturzgefahr beachten.

Für etwa 20 % des Winters prognostiziert.

Rund 5 % aller Todesopfer.

Vollständige Beschreibung der Lawinengefahrenskala

Die auf den Winter 1993/94 von den Europäischen Lawinenwarndiensten eingeführte Skala definiert die Gefahrenstufe anhand der Schneedeckenstabilität und der Lawinen-Auslösewahrscheinlichkeit. Die vollständige Beschreibung der Skala enthält zudem weitere, nicht international vereinbarte Spalten zu typischen Merkmalen, Empfehlungen und Auswirkungen.

Europäische Lawinengefahrenskala mit Empfehlungen und Ergänzungen (.pdf)

Zwischenstufen

Bei Gefahr trockener Lawinen unterteilt das SLF ab Stufe 2 (mässig) die Europäischen Gefahrenstufen mit Zwischenstufen. Diese geben an, ob die Gefahr eher im unteren Bereich (-), etwa in der Mitte (=) oder im oberen Bereich (+) der Gefahrenstufe eingeschätzt wird.

Gefahrenstufen – ein vereinfachtes Abbild der Realität

Die Lawinengefahr steigt von Stufe zu Stufe nicht linear, sondern überproportional an. Dabei nimmt

  • die Schneedeckenstabilität und damit auch die zu einer Lawinenauslösung erforderliche Zusatzbelastung ab.
  • die Häufigkeit der Gefahrenstellen zu. Es gibt also mehr Orte, wo Lawinen spontan abgehen oder ausgelöst werden können.
  • besonders bei den höheren Gefahrenstufen auch die Grösse der Lawinen zu.

Nimmt die zur Lawinenauslösung erforderliche Zusatzbelastung ab und sind gleichzeitig mehr Orte vorhanden, wo Lawinen ausgelöst werden können, so steigt die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung. Dies zeigt sich auch an der Stabilitätsverteilung in untenstehender Abbildung.

Im klassischen Fall verändern sich alle diese Einflussgrössen so wie oben beschrieben. Bei "geringer" Lawinengefahr können dann nur an wenigen Orten und meist nur mit grosser Zusatzbelastung in der Regel nur kleine Lawinen ausgelöst werden, während bei "grosser" Lawinengefahr viele und teils auch sehr grosse Lawinen ausgelöst werden oder spontan (also ohne menschliches Dazutun) abgehen.

Es gibt aber auch atypische Situationen, die nicht in dieses Bild passen. Sie werden im folgenden Abschnitt beschrieben.

Verschiedene Ausprägungen der Lawinengefahr

Auch bei weniger typischen Lawinensituationen ist die Gefahrenstufe ein Mass dafür, wie hoch die Lawinengefahr ist. Nachfolgend werden solche verschiedene Ausprägungen und deren Einschätzung durch den Lawinenwarndienst beschrieben. Weil es sich um atypische Situationen handelt, kann die Aufzählung niemals vollständig sein. In atypischen Situationen sind Abweichungen von der Gefahrenstufen-Definition unumgänglich. Diese werden in der Gefahrenbeschreibung des Lawinenbulletins so gut als möglich beschrieben.

Aufbauend umgewandelte Schneedecke

Bei geringer Lawinengefahr (Stufe 1) ist die Schneedecke normalerweise gut verfestigt und stabil. Nach langen Schönwetterperioden mit geringer Schneehöhe gibt es im Hochwinter aber noch eine andere Ausprägung, bei der kaum Schneebrettlawinen möglich sind:  wenn die gesamte Schneedecke aufbauend umgewandelt und locker ist. Die Schneedecke ist dann zwar sehr schwach und es sind Schwachschichten vorhanden, aber es fehlt die gebundene Schicht darüber (das „Schneebrett“ fehlt). Ohne gebundene Schicht kann sich ein Bruch nicht ausbreiten und somit auch keine Schneebrettlawine bilden. Damit herrscht trotz, oder gerade wegen, ausgesprochen lockerer Schneedecke geringe Lawinengefahr (Stufe 1). „Stabile Schneedecke“ bedeutet „nicht zur Auslösung von Schneebrettlawinen neigend“ und sagt nichts über die Härte der Schichten aus.

Für die Zukunft verheisst diese Situation nichts Gutes: sobald es darauf schneit, entsteht mit dem Neu- und Triebschnee das bisher fehlende „Schneebrett“. Darunter liegt die lockere Altschneedecke als ausgeprägte Schwachschicht. Die Lawinengefahr steigt markant an und es entsteht meist ein lang anhaltendes Altschneeproblem.

Kleine, leicht auslösbare Triebschneeansammlungen

Frische Triebschneeansammlungen sind oft schon von einzelnen Wintersportlern auslösbar. Die Grösse der Triebschneeansammlungen hängt nicht nur vom Wind, sondern auch vom Angebot an verfrachtbarem Neu- und Altschnee ab. Bei wenig verfrachtbarem Schnee sind die Triebschneeansammlungen meistens so klein, dass eine Verschüttung eher unwahrscheinlich ist. Dann wird trotz hoher Auslösewahrscheinlichkeit oft die Stufe 2 (mässig) verwendet. In solchen Situationen sind die Triebschneeansammlungen bei guter Sicht für Geübte meist gut zu erkennen. Sie sollten vor allem im absturzgefährdeten Gelände gemieden werden.

Altschneeproblem mit prominenter Schwachschicht tief in der Schneedecke

Je mächtiger eine Schwachschicht überdeckt ist, desto schwieriger ist es, in ihr noch einen Bruch zu erzeugen. Am ehesten gelingt dies an eher schneearmen Stellen oder an Übergängen von wenig zu viel Schnee. Bei einem Altschneeproblem mit einer prominenten Schwachschicht tief in der Schneedecke sind die Gefahrenstellen meist relativ selten. Lawinen werden aber oft gross und damit für Wintersportler besonders gefährlich. Deshalb kann die Lawinengefahr bei einem Altschneeproblem unter Umständen auch dann erheblich (Stufe 3) sein, wenn die Gefahrenstellen eher selten sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gefahrenstellen in Altschneesituationen auch für Geübte kaum zu erkennen sind. Bei schwachem Altschnee sind mehr Todesopfer zu beklagen als bei den anderen Lawinenproblemen (und gleicher Gefahrenstufe).

«Skifahrer-Gross»

Sind viele grosse, mehrfach auch sehr grosse spontane Lawinen zu erwarten, ist die Lawinengefahr gross (Stufe 4). Dann können exponierte Objekte (meist Abschnitte von Verkehrswegen, vereinzelt auch Gebäude) gefährdet sein. Nebst diesem klassischen "Strassen-Gross" gibt es noch eine weitere Ausprägung dieser Gefahrenstufe, wenn zwar kaum sehr grosse Lawinen zu erwarten sind, aber Personen an vielen Orten sehr leicht mittlere und grosse Lawinen auslösen können. Oft gehen dabei auch Lawinen spontan ab. Bei einem solchen "Skifahrer-Gross" sind Wintersportler abseits geöffneter Pisten akut gefährdet. Verkehrswege dagegen sind nicht oder nur vereinzelt betroffen. Bei einem "Skifahrer-Gross" wird die Gefahr normalerweise mit den Zwischenstufen 4- oder 4= beschrieben; bei einem "Strassen-Gross" sind alle Zwischenstufen möglich.

Lawinenaktivität bei Nass- und Gleitschnee

Nasse Lawinen werden selten durch Personen ausgelöst, bei Gleitschneelawinen ist das kaum möglich. Damit steht bei diesen Lawinentypen auch bei den unteren Gefahrenstufen eine spontane Auslösung im Vordergrund. Die gemäss Definition der Gefahrenstufe maximal mögliche, spontane Lawinenaktivität bezieht sich vor allem auf derartige Nass- und Gleitschneesituationen und weniger auf Situationen mit trockenen Lawinen. So sind bei mässiger Gefahr von Nass- oder Gleitschneelawinen „grosse, spontane Lawinen“ möglich. Bei einer Situation mit trockenen Lawinen entspricht eine solche spontane Lawinenaktivität normalerweise einer erheblichen Lawinengefahr, weil dann auch Lawinenauslösungen durch Einzelpersonen zu erwarten sind.

Änderung der Lawinengefahr im Tagesverlauf

Die Lawinengefahr ändert mit der Zeit und kann innerhalb der Gültigkeitsperiode des Lawinenbulletins die Grenze von einer Gefahrenstufe zur anderen über- oder unterschreiten. Normalerweise erfolgt der Anstieg der Gefahr, etwa infolge von Schneefall oder Wind, deutlich schneller als der Rückgang.

Bei einer Veränderung der Gefahrenstufe im Laufe des Tages geben die Gefahrenstufe im Lawinenbulletin und die Gefahrenbeschreibung normalerweise die Situation während des Vormittages wieder. Die Entwicklung (oft ein Anstieg) wird in der Gefahrenbeschreibung z.B. wie folgt erwähnt:

  • „Die Lawinengefahr steigt an und erreicht am Nachmittag die Stufe 3 (erheblich).“ Dann ist auf der Gefahrenkarte die Stufe 2 (mässig) gezeichnet.
  • „Die Gefahrenstufe 4 (gross) wird im Laufe des Vormittages erreicht.“ Dann ist auf der Gefahrenkarte die Stufe 4 (gross) gezeichnet.
  • „Mit der tageszeitlichen Erwärmung und der Sonneneinstrahlung sind im Tagesverlauf unterhalb von rund 2400 m nasse Lawinen zu erwarten“.

Wenn die Lawinengefahr für die Nacht noch mit Stufe 4 (gross) oder sogar Stufe 5 (sehr gross) eingeschätzt wird und tagsüber dann eine Stufe tiefer, wird von der Vormittags-Regel abgewichen. Weil bei einer Gefährdung von Verkehrswegen die Lawinengefahr auch in der Nacht wichtig ist, wird in diesem Fall in der Abendausgabe die höhere, während der Nacht gültige Gefahrenstufe herausgegeben. In der Morgenausgabe wird diese dann auf die am Vormittag gültige Stufe reduziert.

Doppelkarte

Bei typischen Frühlingsverhältnissen steigt die Gefahr von nassen Lawinen mit der Erwärmung und der Sonneneinstrahlung im Tagesverlauf deutlich an. Die Gefahr von trockenen Lawinen ändert in diesen Situationen über den Tag meistens nur wenig. Damit sind am Morgen trockene Lawinen die Hauptgefahr, am Nachmittag dann nasse Lawinen. In dieser Situation werden mit zwei Karten sowohl die günstigere Vormittagssituation als auch die ungünstigere Situation am Nachmittag dargestellt. Der Übergang von einer Karte zur anderen kann nicht mit einer Uhrzeit angegeben werden. Er ist von den Verhältnissen, der Höhe und auch wesentlich von der Exposition abhängig. Während an Osthängen schon im Verlauf des Morgens die Gefahr von nassen Lawinen zunimmt, ist dies in Westhängen meist erst später der Fall.

Weitere Informationen

Lawinengefahr und Risiko

Im Lawinenbulletin wird die Lawinengefahr beschrieben, also die Auslösewahrscheinlichkeit, die zu erwartende Anzahl und das mögliche Ausmass von Lawinen in einer Region, wobei der genaue Auslösezeitpunkt und die einzelnen Lawinenanrissflächen nicht bestimmt werden können.

Eine Lawinengefahr wird nur dann zum Risiko (also einer Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden eintritt), wenn sich im Bereich der möglichen Lawine gefährdete Objekte wie Menschen, Tiere, Wald oder Infrastruktur befinden. Im Lawinenbulletin wird die Lawinengefahr unabhängig vom Vorhandensein gefährdeter Objekte eingeschätzt, also an Schönwetter-Wochenenden gleich wie an Schlechtwetter-Werktagen und für besiedeltes Gebiet gleich wie für das freie Gelände.

Wenn während eines Schneesturms irgendwo auf einem Gletscher eine Lawine abgeht, bestand offensichtlich Lawinengefahr, ohne Menschen in der Umgebung aber kein Risiko. Geht dieselbe Lawine an einem Schönwetterwochenende auf einer Modetour ab, so ist das Risiko sehr viel grösser. Die im Lawinenbulletin angegebene Gefahr kann in beiden Fällen gleich sein, das Risiko sich aber trotzdem unterscheiden.

Lawinen sind eine ganz besondere Naturgefahr: anders als bei einer Flutwelle oder bei einem Erdbeben, kann der „gefährliche Prozess“ der Lawine durch den Einfluss des Menschen eingeleitet werden. Begeht jemand einen gefährlichen Hang, so kann seine Zusatzbelastung eine Lawine auslösen. Mehr als 90 Prozent der verschütteten Schneesportler lösten „ihre“ Schneebrettlawine selbst aus oder sie wurde durch ein anderes Mitglied der Gruppe ausgelöst.

Häufigkeit der Gefahrenstufen

An zwei von fünf Tagen (pro Warnregion) wird in den Alpen die Gefahrenstufe 2 (mässig) prognostiziert. Sie ist die am häufigsten verwendete Gefahrenstufe und beschreibt Tage mit etwa „durchschnittlicher“ Lawinengefahr. Die Stufe 3 (erheblich) wird an etwa einem Drittel der Tage herausgegeben. Die Gefahrenstufe 4 (gross) wird im Schnitt nur an 2.2% der Wintertage herausgegeben, die Stufe 5 (sehr gross) nur äussert selten. Im Jura sind die tieferen Gefahrenstufen häufiger.