AvaBlog 25. - 30. Dezember 2024

Ausgeprägtes Altschneeproblem, viele Lawinen durch Personen ausgelöst

Die Kombination aus Feiertagen, perfektem Bergwetter und einer schwachen Altschneedecke führte zu zahlreichen Lawinenauslösungen. Lawinen konnten auch fernausgelöst werden und wurden oft gefährlich gross.

Bild 1 von 9
Nach den letzten Schneefällen an Weihnachten wurden diese Woche viele grosse Lawinen durch Personen im Altschnee ausgelöst. Vereinzelt auch am Alpennordhang wie hier beim Aufstieg auf den Dreispitz (2520 m, Aeschi bei Spiez, BE) (Foto: Y.F. Tschanz).
Bild 2 von 9
Am 24.12. löste eine Gleitschneelawine in der Nähe des Skigebiets von Champéry (Val d'Illiez, VS) ein Schneebrett aus. Da im Hang um die Lawine zahlreiche Spuren zu sehen waren, wurde eine Suchaktion eingeleitet. Die Walliser Kantonspolizei gab am Abend bekannt, dass der Lawinenabgang keine Verletzten verursacht habe und niemand vermisst werde (Foto: F. Deguise, 24.12.2024).
Bild 3 von 9
Im südlichen Wallis war das Altschneeproblem besonders ausgeprägt. Diese sehr grosse Lawine wurde an Weihnachten von einem Skifahrer im Val d’Hérens ausgelöst (2618 m, Les Brechets, Mont-Noble, VS). Sie war über 300 m breit und 1200 m lang (Foto: P. Gaspoz, 25.12.2024).
Bild 4 von 9
Viele Abfahrten, dann die Lawine. Diese grosse Schneebrettlawine wurde im Altschnee von einem Skifahrer am Mont Gelé (3003 m, Val de Bagnes, VS) ausgelöst, obwohl im Couloir bereits viele Spuren waren (Foto: R. Troillet, 25.12.2024).
Bild 5 von 9
Auch im schneearmen Süden konnten Lawinen ausgelöst werden, wie diese hier im Val Piana (2365 m, Bedretto, TI) (Foto: S. Dotta, 27.12.2024).
Bild 6 von 9
Auch in Nord- und Mittelbünden war die Schneedecke störanfällig und es wurden viele Lawinen im Altschnee ausgelöst. Diese mittelgrosse Lawine wurde von einem Skifahrer bei der Abfahrt nahe dem Piz Tomül ausgelöst (2600 m, Safiental, GR). Er konnte zum Glück aus der Lawine herausfahren (Foto: A. Raez, 28.12.2024).
Bild 7 von 9
Im Müllersch Tälli (2845 m, Davos, GR) hat am 29. Dezember eine Person bei der Abfahrt eine Lawine im bodennahen Altschnee ausgelöst und wurde mitgerissen. Glücklicherweise wurde niemand verschüttet (Foto: S. Adam, 29.12.2024).
Bild 8 von 9
Ein Schichtprofil wurde einen Tag nach der Lawine am Jörihorn durch das SLF aufgenommen. Dabei wurde in Bodennähe eine Tiefenreifschicht gefunden. Schwache Stabilitätstests (ECT) in der Region bestätigten den fragilen Aufbau der Schneedecke. Das Profil ist auf WhiteRisk veröffentlicht (Foto/SLF: M. Schupbach, 30.12.2024).
Bild 9 von 9
Am 29.12. wurde unterhalb von La Maya (2680 m, Saint-Martin, VS) eine Schneebrettlawine ausgelöst. Eine Person wurde ganz verschüttet (Foto: M. Decrey, 29.12.2024).

Oben blau, unten grau

Das Wetter ist schnell zusammengefasst: In den Bergen war es sonnig, schwachwindig und aussergewöhnlich mild für diese Jahreszeit. Die Nullgradgrenze lag bei 3000 m (Abb. 1). An schattigen Hängen merkte man aber wenig von den milden Temperaturen. Bei wolkenlosem Himmel strahlte die Schneeoberfläche so viel Wärme ab, dass sie selbst in tiefen Lagen pulvrig blieb und sich vielerorts Oberflächenreif bildete (Abb. 2). 

Viele Lawinenauslösungen durch Wintersportler

Während in den Tagen davor (siehe Avablog vom 25.12.) viele Lawinen spontan niedergegangen waren, stand in dieser Woche Lawinenauslösung durch Schneesportler im Vordergrund. Dem SLF wurden viele Personenlawinen gemeldet, 76 in nur 5 Tagen (Abb. 3). In Wirklichkeit dürfte die Zahl der ausgelösten Lawinen aber noch deutlich höher liegen. 

Eindrücklich waren die Lawinengrössen: Es wurden nur fünf kleine Lawinen gemeldet, hingegen 47 mittlere, 20 grosse und eine sehr grosse Lawine (Abb. 3). Auch in Gebieten mit einer eher dünnen Schneedecke wie in Graubünden wurden mitunter grosse Lawinen ausgelöst (Abb. 4). 

Die weite Bruchausbreitung lässt sich mit der ausgeprägten und vor allem auch sehr verbreitet vorhandenen Schwachschichten in der Altschneedecke erklären. Die Lawinengefahr blieb deshalb in vielen Gebieten der Schweizer Alpen anhaltend erheblich (Stufe 3, siehe Übersicht ganz unten).  

Kantig aufgebaute Schneedecke + Neuschnee = Altschneeproblem

Bereits vor dem grossen Schneefall über Weihnachten war absehbar, dass die Altschneedecke ein sehr schlechtes Fundament bieten würde. Viele Profile zeigten Schichten mit kantigen Kristallen, in den schneearmen südlicheren Gebieten war gar die komplette Schneedecke aufbauend umgewandelt. Die aufbauende Umwandlung der Schneekristalle ist typisch nach vielen langen, klaren Nächten: Durch die Abstrahlung in der Nacht kühlt sich die Schneeoberfläche stark ab und ist dann deutlich kälter als der untere Teil der Schneedecke. Der dadurch entstandene Temperaturgradient führt dazu, dass sich der Schnee umwandelt und kantige Kristalle wachsen. Diese grossen, kantigen Kristalle haben nur wenige Bindungen zueinander und bilden deshalb eine prominente Schwachschicht. Mit dem Schneefall über Weihnachten (siehe AvaBlog vom 25.12.) kam dann die notwendige Überdeckung hinzu - und fertig war die Schichtkombination für Schneebrettlawinen (Abb. 5). 

In Abbildung 3 wird auch deutlich, dass sich das Altschneeproblem dieses Mal nicht auf die inneralpinen Gebiete beschränkte. Es betraf, zumindest in der Höhe, die ganzen Schweizer Alpen. Am Alpennordhang war die Überlagerung der Schwachschichten oft mächtig und Lawinenauslösungen durch Personen dadurch nur stellenweise möglich. Wenn es aber zu einer Auslösung kam, wurden die Lawinen dementsprechend gross (Abb. 6). 

Nur in mittleren Lagen, und damit auch in den Voralpen, war die Schneedecke besser aufgebaut. Das Altschneeproblem liess sich auch nicht rein auf Schattenhänge (Expositionen West-Nord-Ost) eingrenzen. Auch an Südhängen wurden oberhalb von rund 2700 m Schwachschichten und damit auch Lawinenauslösungen beobachtet. 

Altschneeprobleme nehmen nur langsam ab

Die Stellen an denen Lawinen in tiefen Schwachschichten ausgelöst werden konnten, ging über die Blogperiode langsam zurück. Die Lawinengösse blieb aber unverändert gross. Das wir auch weiterhin so sein und das Altschneeproblem wird uns noch länger beschäftigen. Defensives Verhalten und Geduld wird also leider weiter gefragt sein. Das tückische an einem Altschneeproblem ist, dass es von Auge kaum zu erkennen ist, selbst für Geübte. Nicht einmal vorhandene Spuren bieten Sicherheit. Zeichen für Instabilität (wie Wummgeräusche) können auf die Gefahr hinweisen, sind aber überhaupt nicht zwingend vorhanden.  

Nebst einer defensiven Touren- und Routenwahl lohnt es sich, die Schneedecke mit Entlastungsabständen und Einzelabfahrten möglichst wenig zu belasten. Damit lässt sich das Risiko einer Lawinenauslösung reduzieren. Bei den teils grossen Lawinen gibt es aber auch damit keine Garantie, dass im Falle einer Auslösung nicht mehrere Personen betroffen sein könnten.  Mehr Informationen zum Risiko bei Altschnee findet sich in diesem Artikel „Fürchtet den Altschnee“.  

Mit dem anhaltend schönen Wetter ist die Schneedecke bereits wieder daran, sich an Schattenhängen in kantige Kristalle umzuwandeln. Damit besteht die Gefahr, dass der nächste grosse Schneefall wiederum zu einem akuten Altschneeproblem führt. 

Gleitschneeproblem

Am Alpennordhang führte der Weihnachtsschneefall und die milden Temperaturen zu viel Gleitschnee-Aktivität. Es wurden zahlreiche kleine und mittlere, auch einige grosse Gleitschneelawinen gemeldet (Abb. 7). 

Lawinenunfälle

In der Berichtsperiode ereignete sich ein tödlicher Lawinenunfall. In Arolla riss am 27.12. eine Lawine einen Tourengänger mit sich. Dieser verstarb im Spital. 

Lawine beobachtet oder ausgelöst? Wummgeräusch wahrgenommen?

Rückmeldungen zur Lawinensituation über die SLF-App White Risk (Abb. 8) sind sehr willkommen, gerne auch mit Foto. Damit hilfst du uns substanziell bei der Erstellung des Lawinenbulletins – vielen Dank! 

Gefahrenentwicklung

Lawinenbulletins dieser Zeitperiode im Überblick.

 

den nächsten AvaBlog öffnen