Osterstau am Gotthard, Föhnsturm im Norden ¶
Frau Holle hat es schon wieder getan! Abermals brachte eine Südstaulage dem Süden sehr viel Neuschnee und dem Norden einen tagelangen Föhnsturm. Dazu kam dieses Mal noch eine gehörige Portion Saharastaub. Die Lawinengefahr stieg gebietsweise in den oberen Bereich der Gefahrenstufe Gross (4+). Viele Lawinen brachen in hohen Lagen trocken oder nass an, rissen unterwegs den nassen Schnee mit und stiessen weit ins Grüne vor. Es war die bisher lawinenaktivste Phase dieses Winters.
Im Süden nichts Neues: über Ostern wiederholte sich, was bereits vom 1. bis 4. März und vom 8. bis 11. März stattgefunden hatte: ein intensiver Südstau mit sehr viel Niederschlag im Süden und tagelangem Föhnsturm im Norden. Gleich zu Beginn liess ein erster intensiver Niederschlag (Abbildung 1a) die Lawinengefahr am Mittwoch, 27. März vom Oberwalliser Alpenhauptkamm bis in die oberen Maggiatäler auf «Gross» ansteigen (Stufe 4). Der Südwind blies auch in der Folge stark bis stürmisch, aber die Niederschläge fielen in den folgenden Tagen geringer aus, so dass sich die Situation zwischenzeitlich wieder etwas entspannte.
Im Norden fiel bis am Samstag, 30. März nur wenig Niederschlag, doch konnte der Föhnsturm die in der Nacht auf den 25. März gefallenen 20 bis 40 cm Schnee verfrachten. 17 gemeldete Personenauslösungen mit insgesamt mindestens 16 erfassten Personen zeigten, dass die Triebschneeansammlungen am 28./29. März leicht auslösbar waren. Mit der Zeit war so ziemlich aller lockerer Schnee verfrachtet, so dass sich trotz anhaltendem Föhnsturm kaum noch frischer Triebschnee bildete. Die Triebschneeansammlungen blieben aber stellenweise noch auslösbar (Abbildung 2).
Pünktlich auf Ostern wurde der Niederschlag sehr intensiv, so dass von Karfreitag, 29. März bis Ostermontag , 1. April in drei Tagen oberhalb von 2200 m im Süden 1 bis 1½ m Schnee fielen, im Simplongebiet, dem Bedretto und den Maggiatälern sogar 1½ bis 2 m (Abbildung 3a). Blickt man auf die gesamte, 6-tägige Niederschlagsperiode zurück, sind es im Süden verbreitet 1½ bis 2 m, im Simplongebiet, im Bedretto und in den Maggiatälern sogar 2 bis 2.7 m Schnee (Abbildung 3b). Weil der Schnee vor allem im Tessin auf Stationshöhe oft feucht fiel, waren die Schneehöhen weiter oben wohl noch etwas grösser. Ab Samstag, 30. März griffen die Niederschläge zunehmend über den Alpenhauptkamm auch nach Norden über.
3 m Neuschnee in einem Tag? ¶
Unangefochtener Spitzenreiter unter den Neuschneemessungen war die automatische IMIS-Schneestation Cassinello im Bedretto, die am Ostermontag Morgen rekordverdächtige 296 cm in 24 Stunden mass (Abbildung 4). Dabei handelte es sich aber weder um eine reale Neuschneemenge, noch um einen Aprilscherz, sondern um eine Lawine, welche die Messstation am Vortag zwischen 11:30 und 12:00 Uhr getroffen und 2 m Lawinenschnee abgelagert hatte. Diesen enormen Schneehöhenanstieg hielt das Programm zunächst für einen Messfehler, und lieferte vorerst keine Schneehöhe mehr. Als der hohe Wert über Stunden konstant gemessen wurde, akzeptierte das Modell den Wert und fügte eine riesige Ladung Neuschnee ein. Mit so viel Neuschnee berechnete das Modell in der Folge eine enorme Setzung, die es in Wirklichkeit mit dem Lawinenschnee nicht gab. Die zu viel berechnete Setzung fügte das Modell in der Folge wiederum als Neuschnee ein, womit die Neuschneemengen auch noch am Tag danach zu hoch berechnet wurden.
Einen weiteren, wenn auch deutlich geringeren, Lawinentreffer gab es an der IMIS-Station Wenghorn im Simplongebiet.
Klimatologische Einordnung ¶
Eine klimatologische Einordnung des Schneefallereignisses ist schwierig, weil es auf Höhe der langjährigen, manuellen Messstationen regnete. Die höher gelegenen, automatischen IMIS-Stationen haben erst etwa 25-jährige Messreihen, und einige davon scheiden aus wegen z.B. Lawinentreffern oder anderen Problemen. Die verwendbaren Stationen zeigen im nördlichen Tessin die aussergewöhnlichsten Werte. Die 230 bis 270 cm Neuschnee in 6 Tagen wurden dort erst zweimal übertroffen, und zwar im Mai 2002 sowie im November 2018.
Während in tiefen Lagen der Frühling längst Einzug gehalten hatte, lag oberhalb von 2000 m noch viel Schnee – mehr als normalerweise Anfangs April. Im Süden waren die Schneehöhen eineinhalb bis zweimal so gross wie üblich, und 21 von 80 langjährigen IMIS-Stationen, meist diejenigen entlang des Alpenhauptkammes, zeigten neue Tagesrekorde – kein Wunder, nach dieser bemerkenswerten Abfolge von Südstaulagen seit Februar.
17 der 80 langjährigen IMIS-Stationen (21 %) zeigen rekordhohe Schneehöhen für den 2. April. Mit wenigen Ausnahmen sind es alles Stationen in der Nähe des Alpenhauptkamms.
Auf 2500 m ist schon der gesamte Winter schweizweit einer der schneereichsten überhaupt (Abbildung 5). An Niederschlägen fehlte es also definitiv nicht, aber in mittleren und tiefen Lagen war es für einen richtigen Winter schlicht zu warm.
Saharastaub ¶
Am Ostersamstag, 30. März brachte die Südströmung nicht nur Schnee und Regen, sondern auch jede Menge Saharastaub in die Schweiz (Abbildung 6), gemäss Berechnung von SRF Meteo unglaubliche 180’000 Tonnen. Vielerorts wurde dieser rasch eingeschneit. Sobald der darüberliegende Schnee später im Frühling geschmolzen ist, wird der Saharastaub eine ungewöhnlich dunkle Schneeoberfläche bilden. Damit wird weniger Sonnenlicht von Schneeoberfläche reflektiert, was das weitere Abschmelzen der Schneedecke beschleunigt.
Schneedeckenaufbau ¶
In den Hauptniederschlagsgebieten enthielt der untere Teil der Schneedecke kaum ausgeprägte Schwachschichten. Es wurde deshalb davon ausgegangen, dass sich die meisten Lawinen im Neu- und Triebschnee lösen. Diese Annahme scheint sich in aller Regel bestätigt zu haben. Anders in den Vispertälern und in den inneralpinen Gebieten Graubündens (Abbildung 7). Dort fiel zwar deutlich weniger Schnee, aber Brüche im Altschnee schienen hier eher möglich – und sind teils auch aufgetreten.
Lawinen ¶
Für Ostersonntag 31. März und Montag, 1. April wurde die Lawinengefahr in den Hauptniederschlagsgebieten mit «Gross» (Stufe 4) eingeschätzt, am Oberwalliser Alpenhauptkamm und im westlichen Tessin teils sogar in ihrem oberen Bereich (Stufe 4+).
Obwohl nur ein Teil der Schweizer Alpen vom Niederschlag betroffen war, war die Lawinenaktivität am Ostermontag, 1. April schweizweit so hoch, wie seit der Stufe 5 Situation (sehr gross) vom Januar 2021 nicht mehr (Abbildungen 8 und 9).
Viele Lawinen brachen in hohen Lagen trocken oder nass an, rissen unterwegs den nassen Schnee mit und stiessen weit ins Grüne vor. Sie wurden oft sehr gross. Mit dem nassen Schnee blieben sie aber in den üblichen Lawinenzügen (Abbildung 10). Für Staublawinen hätte der Schnee bis unten trocken sein müssen. Aus dem mittleren Tessin wurden kaum Lawinen gemeldet. Das muss nicht heissen, dass keine Lawinen abgingen, aber sie stiessen in den tieferen Gebieten wohl nicht ganz in die Täler vor.
In der Nacht auf Ostermontag stieg die Schneefallgrenze nördlich des Alpenhauptkamms unerwartet stark an, teils bis auf etwa 2400 m. Die Folge waren einzelne, nicht vorhergesagte, sehr grosse nasse Lawinen auch in den Randgebieten mit vergleichsweise wenig Niederschlag. So z.B. in den Urner Alpen (Video 1) und in Graubünden (Abbildung 11).
In der Nacht auf Dienstag, 2. April beruhigte sich die Situation, und die Gefahr wurde am Morgen überall auf erheblich (Stufe 3) zurückgestuft.
Lawinenunfälle und Schadenslawinen ¶
Schon vor dem beschriebenen Grossschneefall, am 22.03. lösten zwei Tourenfahrer im Silvrettagebiet nahe beieinander jeweils eine nasse Lawine aus. Beide Personen wurden mitgerissen und starben an den Folgen des Absturzes.
In dieser Berichtsperiode wurden 35 Personenauslösungen mit insgesamt 25 erfassten Personen gemeldet. Am Ostermontag, 1. April starben in einer Lawine am Riffelberg bei Zermatt (Abbildung 12) drei Freerider, und ein weiterer wurde verletzt.
Zudem kam es an diversen Orten zu kleineren Sachschäden durch Lawinen, z.B. an Strassen oder Bäumen.
Gefahrenentwicklung
Lawinenbulletins dieser Zeitperiode im Überblick.