Umfrage zu Zwischenstufen – erste Ergebnisse ¶
Das Wichtigste zuerst: Herzlichen Dank für das Ausfüllen unserer Umfrage und das viele Lob in euren Kommentaren! Innerhalb von zwei Wochen beteiligten sich 3403 Personen an der Umfrage. Die grosse Mehrheit ist mit der Lawinenwarnung zufrieden, was uns motiviert euch auch in Zukunft mit bestmöglichen Informationen zu unterstützen. Wir haben mit der Auswertung der Umfrage begonnen und präsentieren euch hier die ersten Resultate.
Warum Zwischenstufen? ¶
Die Aufteilung der Gefahrenstufe 3, «erheblich» wurde in unserer letzten Umfrage vor neun Jahren oft gewünscht. Eine sechste Gefahrenstufe ist im Verbund mit den anderen Lawinenwarndiensten Europas jedoch nicht möglich. Um den Differenzierungswunsch gleichwohl erfüllen zu können, haben wir das Konzept der Zwischenstufen entworfen. Intern jahrelang getestet führten wir sie diesen Winter ein.
Nutzen ¶
Wer die Zwischenstufen bisher noch kaum gesehen hat, wird vom Konzept meistens schnell überzeugt. Dies zeigt eine Umfrage in Österreich (Live-Umfrage während des Lawinenupdate-Vortrages mit über 2000 Antworten), bei dem das Konzept von 81% begrüsst und nur von 3% abgelehnt wurde. Aber, funktioniert es auch in der Praxis? Genau das wollten wir mit unserer Umfrage erfahren.
Auch am Ende dieses ersten Winters sind die meisten von euch den neuen Zwischenstufen gegenüber positiv eingestellt: 85% sehen einen Mehrwert in den Zwischenstufen (59% nützlich und 26% teils nützlich). Die restlichen 15 % sehen die Zwischenstufen entweder als nutzlos (4%), verwirrend (5%) oder sogar gefährlich (5%) an (Abbildung 1). Wir beurteilen dies als Bestätigung, dass wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind.
Die Ablehnenden haben oft im Kommentarfeld ihre Beweggründe angegeben:
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Mangelnde oder falsche Verständlichkeit,
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Es besteht die Gefahr, dass ein «3-» zu einem «2er» schöngeredet wird
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Es wird eine unrealistische Genauigkeit vorgetäuscht.
Auf diese Punkte gehen wir in der Folge näher ein.
Verständnis ¶
Mit zwei Fragen wollten wir prüfen, ob die Zwischenstufen in unserem Sinne verstanden werden. Korrekt ist:
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«mässig, 2+» ist gefährlicher als «mässig, 2=», und «mässig, 2=» ist gefährlicher als «mässig, 2-»
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«erheblich, 3-» bedeutet, dass die Gefahr im unteren Bereich der Stufe 3 liegt
Von den Wintersportlern, die mehrheitlich in der Schweiz und Liechtenstein unterwegs sind (n=2871), haben 94% beide Fragen richtig beantwortet (dunkel- und hellgrün in Abbildung 2). Die Zwischenstufen werden also in der Regel richtig verstanden, und dies bereits im Jahr der Einführung.
Mit einer Zusatzfrage wollten wir auf den feinen Unterschied zwischen der Angabe eines «2» und eines «2=» hinweisen. Bei unseren Auswertungen hatte sich gezeigt, dass wir die Zwischenstufen nur bei trockenen Lawinen mit guter Genauigkeit vorhersagen können. Bei nassen Lawinen geben wir daher keine Zwischenstufen an. «Mässig, 2» bedeutet also «irgendwo innerhalb der Gefahrenstufe» (Abbildung 3). Korrekt war damit:
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es gibt einen Unterschied zwischen 2= und 2; bei 2 liegt die Gefahr irgendwo innerhalb der Gefahrenstufe mässig, bei 2= etwa in der Mitte der Gefahrenstufe mässig
Auch diese Frage wurde von der Mehrheit (56%) der Teilnehmenden richtig beantwortet (dunkelgrün in Abbildung 2). 38%, (hellgrün) war dieser Unterschied nicht klar, was jedoch in der Praxis wohl nicht relevant ist.
Unsere österreichischen und deutschen Nachbarn äusserten die Sorge, dass die Zwischenstufen falsch interpretiert werden könnten, weil bei ihrem Schulnotensystem die Note wie folgt besser wird: 3+, 2-, 2, 2+,… . Zum Glück zeigt die Umfrage ein gutes Verständnis der Zwischenstufen auch bei Personen, die vorwiegend in diesen Ländern unterwegs sind (n=296). Mit 88% dunkel- oder hellgrün ist es aber tatsächlich etwas weniger gut als in der Schweiz (Abbildung 4). Ob dieser Unterschied tatsächlich auf das Schulnotensystem zurückzuführen ist oder einfach die Folge des noch geringeren Kontakts mit den Zwischenstufen, wissen wir noch nicht.
Wer die Zwischenstufen gut versteht, hält diese für nützlicher (linke Säulen in Abbildung 5). Damit besteht die Erwartung, durch vermehrte Information in den nächsten Jahren das Verständnis zu verbessern und so den Nutzen der Zwischenstufen weiter zu erhöhen.
Anpassung der Tourenwahl ¶
Fast die Hälfte (45%) von euch haben angegeben, bei einem «3+» nun Touren nicht mehr durchzuführen, die sie ursprünglich bei Stufe 3 gemacht hätten (Abbildung 6). Umgekehrt gibt ein Viertel (26%) an, bei einer «3-» nun Touren doch zu machen, die sie vorher bei einer Stufe 3 nicht gemacht hätten.
Dieser deutliche Unterschied zwischen der Anpassung bei einem «3+» und bei einem «3-» ist gut und trägt dem in Abbildung 3 gezeigten Gefahrenverlauf Rechnung: Das Risiko steigt nicht nur von einer Gefahrenstufe zur nächsten um einen Faktor 4 an, sondern auch innerhalb der Gefahrenstufe. Es ist also ein weiser Entscheid, seine Touren verstärkt den Verhältnissen anzupassen.
Problematisch vom Sicherheitsgedanken her ist nur eine einseitige Anpassung nach unten: Die 3%, die sich einerseits bei Stufe 3- mehr erlauben als früher bei Stufe 3, bei Stufe 3+ aber nicht vorsichtiger werden. Mit 3% sind das zum Glück viel weniger von euch als diejenigen, die nur bei einem «3+» vorsichtiger werden (12%).
Die «Nein, keine Anpassung» bei dieser Frage können verschiedene Ursachen haben. Einerseits sind das diejenigen von euch, die ihr Verhalten prinzipiell nicht den Zwischenstufen anpassen. Andererseits sind das aber auch diejenigen, die bereits früher einen Unterschied in der Gefahrenstufe machten – und dazu jeweils aus der Gefahrenbeschreibung herausgelesen hatten, wo innerhalb der Stufe sich die Gefahr befand.
Verlässlichkeit der Zwischenstufen ¶
Täuschen Zwischenstufen eine unmögliche Präzision vor? Ja und Nein.
Bei der Erstellung des Lawinenbulletins macht jeder der drei diensthabenden Lawinenwarner seine eigene Einschätzung. Diese werden anschliessend gemittelt und diskutiert. In den allermeisten Fällen (91%, SLF-interne Auswertung) unterscheiden sich diese drei Einschätzungen um maximal eine Zwischenstufe. Unsere Einschätzungen sind also recht konsistent.
Es liegt aber in der Natur der Sache, dass Prognosen manchmal falsch sind – auch beim Lawinenbulletin. Dabei liegen wir umso öfter daneben, je feiner wir die Skala ausführen. Klar ist aber auch, dass ein kleinerer Fehler resultiert, wenn wir eine Zwischenstufe daneben liegen, als wenn wir uns um eine ganze Stufe verhauen. «2+» und «3-» grenzen direkt aneinander,liegen somit näher beieinander als «2+» und «3+», aber auch näher als «3-» und «3+» (Abbildung 3).
Um unsere Trefferquote zu eruieren, untersuchten wir Häufigkeit und Grösse der Abweichungen zwischen der Prognose im Bulletin und Rückmeldungen aus dem Gelände. Dabei zeigte sich, dass die Abweichungen signifikant kleiner werden, wenn wir Zwischenstufen verwenden. Eine zweite Studie zeigt, dass das Risiko von einer Zwischenstufe zur nächsten jeweils ansteigt. Das Fazit ist also: Ja, im Durchschnitt erreichen wir die Genauigkeit; aber Nein, immer stimmt die Zwischenstufe leider nicht.
Die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort können günstiger sein als prognostiziert, gleichzeitig kann ein bestimmter Einzelhang gefährlicher sein als seine Nachbarhänge. Solche lokale Gefahrenunterschiede kann das Lawinenbulletin nicht abbilden, das müsst ihr nach wie vor selber vor Ort einschätzen. Wir setzen aber alles daran, euch die bestmögliche Prognose zur Verfügung zu stellen. Und weil die Zwischenstufen nachweislich die Genauigkeit erhöhen, geben wir diese jetzt auch an.
Warum auch Zwischenstufen bei «mässig» und «gross»? ¶
Euer Wunsch war, die Gefahrenstufe 3, «erheblich» aufzuteilen. Warum machen wir das auch bei Stufe 2, «mässig»? Ganz einfach, weil wir bei unseren internen Tests festgestellt haben, dass wir auch bei Stufe 2 mit den Zwischenstufen unsere Genauigkeit verbessern. Warum sollten wir diese Optimierung nicht weitergeben?
Für Wintersportler sind die Zwischenstufen bei «gross» kaum mehr relevant, da die Verhältnisse abseits der Pisten zu gefährlich sind. Das Lawinenbulletin ist aber auch eine wichtige Informationsquelle für lokale Lawinendienste, die für Verkehrswege und Siedlungen zuständig sind. Für diese Nutzer ist es ziemlich egal, ob Gefahrenstufe 1, 2 oder 3 gilt, aber umso wichtiger, wo innerhalb der Stufe 4 die Lawinensituation liegt.
Wie weiter? ¶
Wir stehen mit unseren Auswertungen ganz am Anfang, geben euch in diesem AvaBlog aber schon mal die wichtigsten Resultate weiter – und bedanken uns bei euch für die Teilnahme an der Umfrage.
Mit dem sehr positiven Resultat werden wir sicher weiterhin Zwischenstufen publizieren. Die ausführlichen Ergebnisse der Umfrage werden wir zu einem späteren Zeitpunkt publizieren, und natürlich so weit wie möglich in die Weiterentwicklung des Bulletins einfliessen lassen.
Q&A ¶
Auf unsere letzte Frage: «Hast du Bemerkungen oder einen Wunsch an die Lawinenwarnung?», haben wir insgesamt 1016 Freitext-Antworten bekommen. Es waren vor allem Dank und Lob, daneben auch Fragen und Wünsche. Auf einige eurer Fragen möchten wir hier etwas genauer eingehen:
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Was bedeutet: «Andere Hänge etwa eine Gefahrenstufe weniger.» (Angabe zu den Gefahrenstellen im Lawinenbulletin)? Geht es von 3+ auf 3= oder von 3 auf 2?
Die Angabe «etwa eine Stufe weniger» ist ohne Zwischenstufen gemeint. Gilt für die angegebenen Expositionen und Höhenlagen (die Kernzone) die Stufe 3+, so ist an allen anderen Hängen die Gefahrenstufe ungefähr eine (hohe) 2.
Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich die Verhältnisse im Gelände kontinuierlich und nicht sprunghaft ändern. Die Ränder der betroffenen Expositionen und die angegebene Höhe stellen keine klar definierten Grenzen dar. Vielmehr beschreiben sie einen grossen Grenzbereich, der weder klar dem günstigen noch klar dem ungünstigen Bereich zugeordnet werden können. -
Warum ist es regelmässig gefährlich(er) ab der Baumgrenze?
Mehr Wind, grössere offene Hänge, kälter – Gründe können wir viele angeben, warum es höher oben gefährlicher ist. Allerdings ohne den genauen Einfluss der einzelnen Parameter zu kennen. Was wir inzwischen aber klar zeigen können: «Je höher, desto gefährlicher» gilt unumstritten, und wurde bisher oft unterschätzt. Von 600 m unterhalb bis 600 m oberhalb der im Lawinenbulletin angegebenen Grenzhöhe steigt das Lawinenrisiko im Durchschnitt um etwa zwei Gefahrenstufen an, also etwa um den Faktor 16 (!). -
Gibt es einen Ort, wo man die täglichen Rückmeldungen zu Lawinenabgängen, Gefahrenzeichen und sonstige Einschätzungen von Personen im Gelände anschauen kann?
Leider noch nicht. Auf unseren Social-Media-Kanälen und im AvaBlog versuchen wir relevante Rückmeldungen zeitnah mit euch zu teilen. Unser Ziel ist es, solche Informationen in Zukunft in Whiterisk zu integrieren.
An dieser Stelle möchten wir uns für alle Rückmeldungen, die wir übers Jahr erhalten, bedanken. Diese stellen ein wichtiges Puzzleteil für unsere Gefahreneinschätzung dar. Dabei sind übrigens auch Rückmeldungen bei sicheren Verhältnissen (z.B. keine Wummgeräusche) hilfreich. -
Könnt ihr bitte Schnee bestellen?
Klar doch, haben wir gemacht ;) Eine erste Lieferung ist auch schon eingetroffen: 2.5 m seit dem Ende der Umfrage am 15.03., jedenfalls an der Messstation Glacier de Saleina im Trient Gebiet (VS) auf 2800 m.
Einige Antworten zu euren Fragen können online gefunden werden, wie zum Beispiel: SLF Tag der offenen Tür 24.06.2023, Bulletin-Archiv, Terminologie Lawinengefahr, Geographische Namen, Grafische Reduktionsmethode, Verständnis Schneeprofile, AvaBlog statt Wochenbericht, neue Schneekarte, Begriffserklärungen.
Deine Frage oder dein Wunsch wurden in diesem Blog nicht thematisiert? Sie gehen trotzdem nicht unter. Wir haben sämtliche Kommentare gesammelt und werden sie bei uns im Team thematisieren.
Und zum Schluss: Magst Du nochmal? - Wir haben schon die nächste Umfrage bereit, die wir zusammen mit unseren Kollegen von Euregio und der Simon Fraser Universität durchführen: Wie nützlich ist für dich die Gefahrenbeschreibung?
Gefahrenentwicklung
Lawinenbulletins dieser Zeitperiode im Überblick.