Wochenbericht 17. - 23. April 2020

Nassschneelawinen an Nordhängen bis in hohe Lagen

Die vorherrschende Gefahr ging in dieser Wochenberichtsperiode von Nass- und Gleitschneelawinen aus. In der mittleren Phase war die Aktivität bei schlechter Abstrahlung in den Nächten, Wärme und Regen am höchsten. Insbesondere an Nordhängen lösten sich viele Lawinen bis in hohe Lagen. Die Ausaperung schritt weiter zügig voran.

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Nassschneelawinen wie hier an der Nordostseite des 2628 Meter hohen Baslersch Chopf (Davos, GR) waren für diese Wochenberichtsperiode typisch (Foto: J. Rocco, 21.04.2020).
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Vor den vereinzelten Niederschlägen am Samstag, 18.04. waren in den Nordhängen in höheren Lagen meist noch sehr wenige Lawinen vorhanden. Dies beweist auch das Bild vom Nordhang des Piz Traunter Ovas (3151 m, Brever, GR) (Foto: J. Lucas, 18.04.2020).
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Am Sonntag, 19.04. löste sich eine Gleitschneelawine oberhalb einer geschlossenen Skipiste im Skigebiet Saas Fee (VS). Der Anriss lag auf 2260 m an einem Nordhang. Links oben im Bild ist die Talstation Schopfen zu sehen und rechts das untere, östliche Ende des Feegletschers (Foto: R. Sporrer).
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Ausblick von der Alp Rischuna (1989 m, Vals, GR) Richtung Südwesten. In der Mitte ist das Fanellhorn (3124 m) zu sehen. Die Schneegrenze liegt in diesem Gebiet an Nordhängen oberhalb der Baumgrenze (ungefähr 1950 m), südseitig liegt die Schneegrenze mehrere hundert Höhenmeter höher (Foto: U. Berni, 19.04.2020).
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Vielerorts laufen die Schneeräumungen und Vorbereitungen für die Öffnung der Passstrassen und wichtigen Erschliessungen in den Alpen auf Hochtouren wie beispielsweise die Strasse von Finhaut zum Emosson Stausee auf ca. 1880 m (Finhaut, VS) (Foto: J.-L. Lugon, 21.04.2020).
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Bis alle Passtrassen offen sind kann es aber noch etwas dauern. Einer der Gründe ist oftmals die noch bestehende Lawinengefahr bzw. steile Hänge welche noch geladen sind. Auf dem Bild ist eine Nassschneelawine auf die noch geschlossene Flüelapassstrasse (Davos, GR) abgegangen (Foto: J. Rocco, 21.04.2020).
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Auch in der Region Gstaad (BE) sind einige Gleitschneelawinen in den nordexponierten Hanglagen oberhalb von 2000 m abgegangen wie dieses Bild der Staldeflüe (ca. 2250 m, Saanen, BE) zeigt (Foto: U. Grundisch, 21.04.2020).
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Eindrücklicher vorher nachher Vergleich an der Nordost Seite des Chlein Schwarzhorn (2967 m, Zernez, GR): Das kleine Bild oben rechts wurde am Freitag, 17.04. aufgenommen und zeigt den gelb eingerahmten Bereich auf dem grossen Bild. Das grosse Bild wurde am 21.04. aufgenommen (Fotos: J. Rocco (gross), SLF/M. Marty (klein)).
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Diese Lawine(n) lösten sich während oder nach dem Regen vom Samstag 18.04. im Gebiet Litzig Ritz an einem Nordhang auf 2400m. Initiiert wurde die Lawine durch zwei nasse Lockerschneelawinen, die den Schnee bis auf den Grund mitrissen. Weiter unten wurde durch die Zusatzlast der Lockerschneelawinen ein Schneebrett bis auf den Grund ausgelöst. Der grösste Teil der Lawine stoppte auf der Geländekante, dort wurde jedoch nochmals ein Schneebrett bis auf den Grund ausgelöst (Foto: SLF/ M. Marty, 22.04.2020).
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An der Nordseite des Breithorns (2598 m, Grengiols, VS) auf einer Höhe von 2090 m löste sich am späten Abend des Dienstages, 21.04. eine Gleitschneelawine. Auf dem kleinen Bild links ist der Anriss zu sehen, auf dem grossen Bild die Ablagerung auf der gesperrten Strasse. Tagsüber waren auf dieser Strasse viele Wanderer und Biker unterwegs. Es gilt nach wie vor vorsichtig zu sein und Sperrungen zu befolgen, denn Lawinen können trotz Frühlingshaften Temperaturen und Vegetation weit nach unten vorstossen (Fotos: R. Imsand (gross) & H. Gorsatt (klein), 22.04.2020).
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Diese schönen Frühlingsboten, die Behaarte Schlüsselblume (Primula hirsuta), wachsen trotz der grossen Trockenheit auf der Alp Rischuna (Vals, GR) auf über 1900 m (Foto: U. Berni, 23.04.2020).

Wetter, Schneedecke und Lawinengefahr

Auch diese Wochenberichtsperiode war mild. Die Nullgradgrenze lag bis am Sonntag, 19.02. zwischen 3000 und 3500 m und sank dann etwas. Insbesondere die Nächte auf den Mittwoch, 22.04. und Donnerstag, 23.04. waren deutlich kälter (vgl. Abbildung 1).

Freitag, 17.04. und Samstag, 18.04.: Frühlingssituation mit leichtem Anstieg der Lawinengefahr im Tagesverlauf

Diese Wochenberichtsperiode startete so, wie die letzte aufgehört hatte – mit meist klaren Nächten und sonnigen Tagen bei einer Nullgradgrenze zwischen 3000 und 3500 m (vgl. Abbildung 1). Allerdings nahmen die Luftfeuchtigkeit und die Bewölkung jeden Tag etwas zu. Damit kühlte die Schneeoberfläche weniger gut ab als an den Vortagen. Mit der zunehmenden diffusen Strahlung erhielten Nordhänge tagsüber etwas mehr Strahlung. Die Durchfeuchtung der Nordhänge schritt weiter voran und kletterte auf 2300 bis 2500 m. Damit kam sie in einen Höhenbereich, der vor allem in den inneralpinen Gebieten des Wallis und vor allem Graubündens interessant war, weil dort tiefer in der Schneedecke Schwachschichten vorhanden waren. Durch das Einsickern von Schmelzwasser werden solche Schwachschichten zusätzlich und rasch geschwächt.
Ost- und Westhänge waren unterhalb von rund 3000 m, Südhänge unterhalb von rund 3200 m schon länger durchfeuchtet und bis in Höhenlagen von 2000 bis 2400 m ausgeapert.

Die Gefahr von trockenen Lawinen konnte weiterhin mit Stufe 1 (gering) beurteilt werden, die Gefahr von Nass- und Gleitschneelawinen war einem leichten, tageszeitlichen Anstieg unterworfen und wurde im Lawinenbulletin mit Stufe 2 (mässig) eingeschätzt. Die Lawinenaktivität war klein. Gemeldet wurden nur wenige, meist kleine und mittlere Nass- und Gleitschneelawinen, Gleitschneelawinen vereinzelt auch grosse.

Sonntag, 19.04. bis Dienstag, 21.04.: Viele Nassschneelawinen, vor allem an Nordhängen

Die Nacht auf den Sonntag war wechselnd bis stark bewölkt und die Abstrahlung damit deutlich reduziert. Zudem gab es am Samstagnachmittag/-abend vor allem am Alpennordhang und in Nordbünden gewittrige Schauer mit einer Schneefallgrenze von 2800 bis 2300 m. Tagsüber war es im Westen und im Norden meist bewölkt. Im Südosten war es am Vormittag recht sonnig, dann auch zunehmend bewölkt. Am Nachmittag setzten aus Südwesten Schauer ein. Diese Niederschlagsperiode dauerte bis am Dienstagnachmittag und betraf vor allem den Alpenhauptkamm vom Monte Rosa Gebiet bis ins Bergell und südlich davon (vgl. Abbildung 3). Am meisten Niederschlag fiel im mittleren Tessin und im Sottoceneri. Die Schneefallgrenze sank am Alpensüdhang von 2600 m bis auf 2000 m, in den nördlichen Gebieten lag sie zwischen 2800 m und 2300 m. Im Hochgebirge fielen 5 bis 15 cm Schnee. Im Osten hellte es am Dienstagnachmittag auf, viel später als erwartet. Grund dafür war Saharastaub in grosser Höhe, welcher zu Wolkenbildung führte und in der Prognose unterschätzt wurde (Quelle: MeteoSchweiz).

In dieser Periode blies der Wind am Nördlichen Alpenkamm zeitweise stark aus Südost, sonst schwach bis mässig aus südlichen Richtungen. In den oberen Alpentälern des Nordens war es föhnig.

Die Abfolge von warmem, zum Teil wolkigem Tag am Samstag und feucht-milder Nacht ohne Abstrahlung auf Sonntag und gebietsweisem Regen bis am Dienstag befeuerte die weitere Durchfeuchtung der Schneedecke an Nordhängen bis in Höhenlagen von rund 2800 m. Ab dem Nachmittag des Sonntags mass das Lysimeter auf dem SLF-Versuchsfeld Weissfluhjoch (2544 m, Davos, GR) Schmelzwasserabfluss aus der Schneedecke. Dieses Einsetzen des Abflusses korreliert meist mit einer erhöhten Nassschneelawinenaktivität.
An diesen drei Tagen (ab der Nacht auf Sonntag) gingen vermehrt Nassschneelawinen ab. Am meisten Lawinen wurden aus den Altschneegebieten Graubündens gemeldet, wo oft die ganze Schneedecke ausgeräumt wurde. Dabei gingen die meisten Lawinen an Nordhängen zwischen 2000 und 3000 m ab (vgl. Abbildung 4). Die Lawinen wurden als klein (Grösse 1), mittel (Grösse 2) oder gross (Grösse 3) klassiert.

Abb. 6 (Video): Abgang einer Nassschneelawine am Sattelhorn (2979 m, Davos, GR) am Sonntag, 19.04. um den Mittag. Ursprung hat die Lawine in einer Lockerschneelawine unterhalb der Felsen welche dann in der Sturzbahn eine Schneebrettlawine auslöste, die den Schnee bis auf den Boden ausräumte (Film: SLF/ L. Eberhard).

Noch Stufe 2 (mässig) oder doch schon Stufe 3 (erheblich) für Nass- und Gleitschneelawinen? Diese Frage wurde im Prognoseteam täglich intensiv diskutiert – auch schon für die Vortage. Da die Schneedecke rasch und auf eine erste Anfeuchtung zudem auch sehr sensibel reagieren kann, können ein paar Stunden mehr Abstrahlung in der Nacht oder Bewölkung am Tag oder ein Spritzer Regen die Lawinengefahr (vgl. Gefahrenentwicklung unten) deutlich beeinflussen. Gemessen an der Lawinenaktivität dürfte diese Gratwanderung bis und mit Samstag gelungen sein. Für die Nacht auf Sonntag wurde die Bewölkung und die «warme Dusche» unterschätzt. Der rasche Anstieg im Tagesverlauf war dann nach nur kurzer Abstrahlung aber berücksichtigt. Für Montag und Dienstag galt während des ganzen Tages erhöhte Nass- und Gleitschneelawinengefahr, die Stufe 3 (erheblich) dürfte aber nicht in allen Gebieten erreicht worden sein, mindestens im Engadin aber schon. Insbesondere die länger anhaltende, durch den Saharastaub bedingte Bewölkung am Dienstag sorgte für weniger starke Einstrahlung als angenommen und damit verbreitet zu weniger Lawinenaktivität.

Mittwoch, 22.04. und Donnerstag, 23.04.: Wieder meist sonnig mit Tagesgang der Lawinengefahr

Im Laufe des Mittwochs klarte es im Süden auf, während im Norden schon die Nacht auf den Mittwoch teils klar war. Nach einer klaren Nacht war es am Donnerstag meist sonnig mit einigen Quellwolken. Lawinen wurden am Mittwoch vor allem noch aus dem Oberengadin gemeldet, es war jedoch nicht klar, ob diese schon am Dienstag, 21.04. abgingen. Der Wortlaut der Meldung eines Beobachters lässt eindeutig auf hohe Lawinenaktivität schliessen: «Schwierig Abgangszeitpunkt einzuschätzen. Bis am Morgen dichter Nebel. Sieht eher frisch aus. Ganzes Oberengadin betroffen. Von Celerina bis nach Maloja sind die NW-Hänge abgegangen. Anrisse bis auf 3000 m. Teils ganze Bergflanken.»

Schneelage

Die Schneeschmelze schritt zügig voran (vgl. Abbildung 7). Auf den Messstationen nahm die Schneehöhe in den letzten zwei Wochen oberhalb von 2000 m meist zwischen 30 bis 50 cm ab. Im Allgemeinen sind die Schneehöhen in hohen Lagen kleiner als sonst um diese Jahreszeit üblich. Auf 2000 m liegen noch die in Abbildung 8 dargestellten Schneemengen.

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Abb. 7.1: In dieser Wochenberichtsperiode schritt die Schneeschmelze zügig voran. Im hinteren Dischma (Davos, GR) wird der Nordosthang des Sattelhorns (2979 m), welcher zum Dürrboden hinunterführt (2004 m), im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Lawinendetektion regelmässig fotografiert. Dieses Bild wurde am Freitag, 17.04. um 12:30 Uhr aufgenommen …
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Abb. 7.2: … und dieses am Donnerstag, 23.04. um 12:30 Uhr. Zu sehen sind einerseits die Vergrösserung der aperen Stellen in diesem Höhenbereich und andererseits die Nassschneelawinen, welche vorwiegend in der Periode vom Sonntag, 19.04. bis Dienstag, 21.04. abgegangen waren (Fotos: Webcam SLF).

Die Schneegrenze liegt an Nordhängen zwischen 1400 und 1800 m. An steilen Südhängen liegt sie 400 bis 800 m höher (vgl. Abb. 2).

Lawinenbulletin und Corona-Massnahmen

Das Lawinenbulletin erscheint weiterhin täglich um 17 Uhr, in erster Linie zur Unterstützung der Sicherheitsdienste. Bitte beachten Sie die Anweisungen des Bundes.
Weiteren Informationen.

Lawinenunfälle

In dieser Berichtswoche ereigneten sich keine Lawinenunfälle.

Gefahrenentwicklung

Lawinenbulletins dieser Zeitperiode im Überblick.

 

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